Der Sturm in deiner Kaffeetasse
Über die letzten Monate hat sich hinter dem Vorhang der Kaffeeindustrie ganz schön was zusammengebraut – und jetzt kommt es auch in deiner Tasse an. Ein Blogbeitrag von Florian Schaffner für miró. Florian Schaffner ist Teil von Algrano, einem Schweizer Startup, dass die Standards des globalen Kaffeehandels neu definiert.
Im April 2021 sah es eigentlich nach einem ganz normalen Sommer aus. Der Kaffeepreis bewegte sich einem Band, in dem er sich seit Jahren bewegte, und obwohl sich die Transportpreise der Schifffahrt seit dem Beginn der Pandemie merklich erhöht haben, war es in der Gesamtrechnung nicht genug, um sich Sorgen zu machen. Das änderte sich in den kommenden Wochen rasant: Die Preiskurve für Kaffee schoss bis Ende Sommer von rund 1.20 Dollar pro Pfund im April auf über 2 Dollar, und die Preise für die Containerschifffahrt haben sich im gleichen Zeitraum verdoppelt. Was war geschehen?
Der lange Weg von der Pflanze in die Tasse
Kaffeebohnen legen einen langen Weg zurück, bis sie bei dir in der Tasse landen. Kaffeebauern in Lateinamerika, Afrika und Asien verkaufen ihre Kaffeebohnen an Kooperativen und Washing Stations. Von da geht’s weiter an Exporteure, welche ihn wiederum an Importeure in Europa weitergeben. Schliesslich gelangen die rohen Bohnen an Röster wie miró, und von da in Cafés und Shops. Miró kann diese Kette für seinen Kaffee stets bis ins Detail[1]zurückverfolgen, aber der Weg ist nicht immer klar abgesteckt: Ein SRF-Redaktor hat letzten Herbst versucht, den Ursprung seines Kaffees von seinem Quartierladen bis zum Kaffeebauer zurückzuverfolgen. Spoiler – er hat es nicht geschafft.
So intransparent Lieferketten sein können, eine Zahl hat jeder Kaffeehändler zu jeder Uhrzeit im Kopf: Den C-Market, der Baseline-Börsenpreis für ein Pfund Rohkaffee in den kommenden Monaten. Der Preis ist der Fiebermesser der Kaffeeindustrie. Jede politische Krise, jede Krankheit und jedes Unwetter schlägt sich im Preis nieder. Und genau das geschah im Sommer 2021.
Jahrelang bewegte sich der C-Market in einem Band zwischen 0.90 und 1.40 Dollar – dann, im Juli, kamen die Wettermeldungen aus Brasilien. Der grösste Kaffeeproduzent der Welt wurde von einer Dürre heimgesucht, und obendrauf fielen die Temperaturen unter Null – wesentlich tiefer als normal, und die Sorte Temperaturabfall, die Kaffeepflanzen über Jahre beschädigt oder gar zerstört. Und wenn der weltweit grösste Kaffeeproduzent niest, erkältet sich die ganze Welt. Der C-Market reagierte: Im Mai durchbrach er die 1.50-er Marke, im Juli notierte er erstmals über 2 Dollar. Anfang dieses Jahres lag der Preis über 2.50 Dollar. 2021 stieg der Preis um 76%, so hoch wie seit 2010 nicht mehr. Für viele Röster war es der stärkste Preisanstieg, den sie je gesehen haben.
“Der geplante Liefertermin deiner Bestellung hat sich verschoben”
Über Wochen und Monate hinweg waren die Blicke auf dem Kaffeepreis fixiert. Bis sich die Schifffahrt meldete – denn die Pandemie war alles andere als vorbei. Die Lieferengpässe wurden enger, jede Inbox auf der ganzen Welt schwappte über mit Emails über “updated delivery timelines”. Das Update betraf nicht nur die Timeline, sondern auch die Preise: Vor der Pandemie kostete der durchschnittliche Containertransport 1’500 Dollar. Bis September 2021 kletterte der Preis bis auf 10’361 Dollar.
Rund ein halbes Jahr später sickern die steigenden Preise für Rohkaffee und Transport bis in die Tasse durch. Im Januar erhöhten Migros, Coop und Denner die Preise für Kaffee. Branchenverbände rechnen dieses Jahr mit einem Preisanstieg von durchschnittlich bis zu 10 Prozent. Die meisten Röster ziehen mit, Giganten wie Starbucks haben bereits vorgelegt.
Niemand mag es, wenn der Preis seines Morgencappuccinos ansteigt, aber es lohnt sich, über den eigenen Tassenrand hinauszuschauen. Denn wenn der Preis der einzige Faktor wäre, würden miró und andere Spezialitätenröster ganz anderen Kaffee servieren. Zuallererst kommt der Preisanstieg den Kaffeebauern und -produzenten zu Gute; zumindest jenen, die nicht vom Wetter getroffen wurden. Historisch gesehen standen sie viel öfter auf der Verliererseite – Zertifizierungen wie Fairtrade wurden auch deshalb eingeführt, um den Produzenten einen Minimalpreis zu garantieren, damit sie überleben können. Dank Algrano weiss miró, wer in der Lieferkette wieviel an einem Kilogramm Kaffee verdient, und kann den Preisanstieg verfolgen.
Zudem gibt es einen grossen Unterschied zwischen der Sourcing-Strategie eines Kaffeerösters und einem Händler, der an seinem Bloomberg Terminal mit Coffee Futures spekuliert. Da ist zum einen der Qualitätsunterschied: miró zahlt für sein Kilogramm Kaffee ein Vielfaches vom Börsenpreis, zum einen für die Qualität, zum anderen für Zertifizierungen wie Bio oder Fairtrade. Zum anderen schwankt der Preis im oberen Preissegment weniger stark, nicht zuletzt auch weil es zwischen dem Röster und Kaffeebauern nicht nur um eine Transaktion, sondern um eine langfristige Beziehung geht. Das ändert die Mentalität, wie man gemeinsam mit solchen Situationen umgeht: Es ist keine “My gain is your loss”-Nullsummen-Attitüde, sondern eine Zusammenarbeit.
Wir bewegen uns in die richtige Richtung
Das verrückte daran ist, dass es vor wenigen Jahren für einen Röster kaum möglich war, mit einem Kaffeebauern in Kontakt zu treten – und umgekehrt hatte der Kaffeebauer keine Ahnung, wohin seine Kaffeebohnen verschifft wurden. Heute knüpfen auf Algrano Hunderte von Bauern und Röstern jeden Tag neue Beziehungen, und beide Seiten wissen mehr über ihre Partner, als sie es je zuvor taten.
Wenn ein paar Schlechtwettertage eine ganze Industrie auf den Kopf stellen können, sind solche Austausche entscheidend. Zumal die letzten Monate Peanuts sind mit dem, was in Zukunft auf den Kaffeesektor zukommt: Bis zu 50 Prozent der heutigen Anbauflächen für Kaffee könnten bis 2050 dem Klimawandel zum Opfer fallen. Nur eine Minderheit des heute verkauften Kaffees ist zertifiziert. Intransparenz verzerrt den Markt, und viele Kaffeeproduzenten verlassen die Industrie, in der Hoffnung auf bessere Aussichten in anderen Sektoren oder Ländern. Wir sehen Zeichen in die richtige Richtung, von Bauern über Röster bis zum Kaffeetrinker. Und wir setzen die Zeichen selbst, mit unseren Entscheidungen. Wir haben einen langen Weg vor uns – aber wir haben auch gerade erst begonnen.
Florian Schaffner ist Teil von Algrano, einem Schweizer Startup, dass die Standards des globalen Kaffeehandels neu definiert – zusammen mit Röstern wie miró. Wenn du mehr wissen willst, in welche Richtung sich die Kaffeeindustrie bewegt, hol dir Algrano’s 2022 Market Trend Review.